Unser systemisches Selbstverständnis beinhaltet vor allem eine wertschätzende und bejahende Grundhaltung. Wir verstehen das Auftreten von Problemen und (Beziehungs-)Schwierigkeiten als gescheiterte Lösungsversuche. Als SystemikerInnen betrachten wir immer auch den Kontext, in dem sich Probleme individuell oder in größeren sozialen Gebilden zeigen.
Wir begeben uns auf die Suche nach verborgenen Ressourcen, erfinden diese neu und versuchen durch Bedeutungsdekonstruktion, -rekonstruktion und -neukonstruktion mit unseren KlientInnen und KundInnen neue „Lösungsgeschichten“ zu beschreiben. Dabei geht es weniger um Wahrheitsfindung, sondern eher um pragmatische Lösungen im Sinne von Nützlichkeit. Das bedeutet auch, die Menschen, mit denen wir arbeiten, zu unterstützen, in einem (selbst)reflexiven Prozess ihre jeweils ganz eigenen Lösungswege zu finden.
Diesen Prozess begleiten wir mit Kreativität, Humor und viel Freude an der Arbeit.
Die Grundlagen systemischer Arbeit
Ein menschliches Problem wird nicht als „Störung“ angesehen, die eine Person „hat“, sondern als ein Phänomen, das sich innerhalb eines sozialen Feldes mit den beteiligten Personen zeigt. Systemische Sichtweisen ermöglichen es, verschiedene Blickwinkel einzunehmen, andere Beobachtungen und Erfahrungen zu machen und in der Folge vielfältige Lösungs- und Handlungsalternativen zu entwickeln. Systemische Perspektiven und das Erlernen verschiedener Konzepte geben Gelegenheit, psychische und soziale Probleme im Kontext von Familie oder sozialen Organisationen zu verstehen und entsprechend zu intervenieren. In unseren Weiterbildungen werden die TeilnehmerInnen befähigt, die erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten an ihr jeweiliges Praxisfeld anzupassen. Erarbeitet werden Sichtweisen, Strategien und Methoden verschiedener systemischer Ansätze. Wir unterstützen und begleiten die TeilnehmerInnen in der Entwicklung ihres eigenen persönlichen Arbeitsstils. Für den Beratungsprozess hat die Persönlichkeit der BeraterIn eine besondere Bedeutung. In unseren Seminaren nehmen verschiedenste Elemente zur Selbsterfahrung einen entsprechenden Raum ein. Während der gesamten Weiterbildung können und sollen konkrete Probleme aus der alltäglichen Arbeit eingebracht und bearbeitet werden.
Das hier Folgende ist kein wissenschaftlicher Text, sondern eher eine für alle Interessierten verständliche Beschreibung dessen, was wir unter „systemisch“ verstehen, und aus welchen Quellen wir neben unserer Lebenserfahrung schöpfen, wenn wir therapeutisch und supervisorisch arbeiten. Die aufgeführten unterschiedslichen Aspekte sind weder historisch noch logisch unabhängig voneinander zu sehen.
1. Familientherapeutische Erfahrungen
Lange bevor von Systemischer Therapie die Rede war, haben FamilientherapeutInnen systemisch gearbeitet. Sie haben sich getraut, etwas zu tun, was vorher verpönt war: Sie haben, vor allem wenn die KlientInnen Kinder und Jugendliche waren, deren Bezugspersonen in die Therapie mit einbezogen.
Begonnen hat dies vor allem in den USA, doch bald fand diese Idee auch einzelne VertreterInnen in Europa. Wie radikal hier zeitweise mit dem vorherrschenden Selbstverständnis gebrochen wurde, zeigt sich in historischen Texten wie etwa von C. Whitaker, der sich auch mit einer ganzen Familie balgen konnte, um ihnen zu zeigen, „wie man Nähe herstellen kann“.
Tief bewegt hat uns Virginia Satir, der es wie keiner anderen gelang, eine Atmosphäre der Wertschätzung in ihren Therapien herzustellen. Standen vorher mehr oder weniger die Defizite im Zentrum therapeutischen Handelns, so gelang es ihr überzeugend, den Beteiligten im persönlichen Kontakt zu vermitteln, dass sie wertvolle, einzigartige Persönlichkeiten sind. So begann sie häufig ihre Therapien damit, das Lebensalter aller Beteiligten, ihres eingeschlossen, zusammenzuzählen und kommentierte dies mit der Bemerkung, dass dies die Summe an Lebenserfahrung sei, die für eine gute Arbeit zur Verfügung stände.
Diese TherapeutInnen waren es auch, die das Risiko eingingen, mit Familien zu arbeiten, mit denen sonst niemand etwas zu tun haben wollte. Virginia Satir arbeitete mit sogenannten „Defektschizophrenen“, die durch die Maschen aller Versorgungsnetze gefallen waren. Salvador Minucchin arbeitete in Philadelphia in einer Slumregion mit Randschichtfamilien. Die Entwicklung seiner „strukturellen Familientherapie“ lieferte einen entscheidender Beitrag zu einer therapeutische Arbeit mit Menschen, die nicht zur traditionellen Psychotherapieklientel gehörten.
Die Pioniere der Familientherapie waren ursprünglich PsychoanlaytikerInnen. Ihre Entwicklung stand oft im Kontrast zu ihrer psychoanalytischen TherapeutInnenkarriere. Von Luigi Boscolo und Gianfranco Cecchin aus Mailand etwa ist überliefert, dass sie neben ihren familientherapeutischen Sitzungen auch weiter Psychoanalysen mit EinzelklientInnen auf der Couch durchführten. Dieser Kontrast hatte oft extreme Einseitigkeiten zur Folge: So fokussierte das Mailänder Team in der Arbeit mit ihren Familien zunächst fast ausschließlich auf das gezeigte Verhalten und dessen Veränderung. Gefühle, Absichten und ähnliche Themen waren für sie zu sehr mit dem psychoanalytischen Konzept verbunden. Später wurde diese Polarisierung aufgelöst.
2. Kommunikationsforschung
Schon in den 30er Jahren begann Gregory Bateson, Ethnologe und zu dieser Zeit mit Margret Mead verheiratet, bei der Auswertung der ethnologischen Untersuchungen von Südseevölkern systemische Überlegungen zu formulieren. Später studierten er und seine Forschergruppe die Kommunikation von Delphinen und befassten sich mit Kommunikationsstrukturen von Familien mit einem als „schizophren“ diagnostizierten Familienmitglied.
Vor allem Paul Watzlawick hat zur Verbreitung dieser Ideen beigetragen. Die Axiome zur menschlichen Kommunikation sind noch heute anregend zu lesen:
- Wir können nicht nicht kommunizieren.
- Unsere Botschaften haben immer einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt, letzterer bestimmt den ersteren und
ist daher eine Metakommunikation. - Die Natur einer Beziehung ist durch die Interpunktionen der Kommunikationsabläufe seitens der Partner bedingt.
- Die Bedeutung der Botschaften ist kontextabhängig und bedient sich digitaler und analoger Modalitäten.
- Kommunikationsprozesse können sowohl symmetrisch als auch komplementär organisiert sein.
3. Kybernetik
Die Lehre von den Regelkreisen schien in den 60er Jahren zu einer universalen Metatheorie zu werden. Diese Ideen beeinflussten auch die Familientherapie. Ausgehend von Überlegungen, wie Familien gut funktionieren, sollten TherapeutInnen durch Interventionen dazu beitragen, die Familien in diese Richtung (Soll-Zustand) zu verändern. Mit der konstruktivistischen Wende wurde diese Sichtweise radikal in Frage gestellt. Was in der Therapie erscheint, was dort passiert und worüber dort berichtet wird, lässt keinen Schluss darauf zu, was unabhängig von der Therapie existiert. Als TherapeutInnen sind wir immer Teil des Prozesses, den wir beobachten.
Diese sogenannte „Kybernetik 2. Ordnung“ befreit uns von der Illusion „objektiver“ Beobachtung und rückt uns als TherapeutInnen mit unseren Wertungen und Vorurteilen ins Zentrum unserer Reflexion.
4. Hypnotherapie nach Milton Erickson
In den 60er und 70er Jahren wirkte in Phoenix, Arizona ein kreativer Hypnotherapeut, dessen Ideen in vielfältiger Weise Bedeutung für die Entwicklung der systemischen Therapie bekamen. Die Überlegung, dass sich Therapie wesentlich an Lösungen und weniger an Problemen orientieren sollte, schreiben wir ihm zu. Diese Idee wurde am konsequentesten von den KollegInnen aus Milwaukee (Inso Kim Berg, Steve de Shazer u.a.) weiterentwickelt.
Die aufmerksame Beobachtung körperlicher Reaktionen, das Ansprechen unbewusster Prozesse durch die Benutzung von Metaphern und die Aktivierung aller kreativen Potentiale bei den KlientInnen waren Eriksons Stärken. Einer seiner wichtigsten Glaubenssätze war: „Listen to the clients, speak their language and create a context of change!“
5. Konstruktivismus und Konstruktionismus
Die Überzeugung, dass nicht die Dinge und Ereignisse an sich, sondern die Bedeutungen, die wir ihnen geben (Konstruktionen), wesentlich dafür sind, wie wir sie erleben, ist eine entscheidende Grundlage für systemisches Denken und Handeln. An der Zuordnung von Bedeutung lässt sich arbeiten, ihre Veränderungen ist ein Ziel. Dabei ist es am wichtigsten, bisherige Bedeutungsgebungen die als „einzig mögliche“ erlebt wurden, in Frage zu stellen, und andere als ebenso mögliche daneben anzubieten.
Aufgabe von Therapie kann es dann auch sein, neue Erfahrungen zu ermöglichen und Realitäten zu erschaffen, die bisherige Überzeugungen in Frage stellen.
6. Selbstorganisationstheorien
In unterschiedlichen naturwissenschaftlichen Forschungszusammenhängen sind interessante Konzepte zur Selbstorganisation in Systemen entwickelt worden. Diese Theorien lassen sich in Analogie auch für die Psychotherapie nutzbar machen. Sie ermöglichen uns, unsere Einflussmöglichkeiten realistisch einzuschätzen.
Einerseits gehen damit therapeutische Allmachtsphantasien zuende, andererseits können bereits kleinste Anstöße von außen im richtigen Moment viel in Bewegung bringen. Die genaue Bewegungsrichtung bestimmt jedoch das System letztlich selbst.